Ehrliche Portraits

Es ist schon ein lustiger Umstand, dass der Fotovogel langsam zu mehr Bekanntheit gelangt und ich immer häufiger von Freunden und Bekannten um ganz persönliche Fotos gebeten werde. Umso mehr freute ich mich, als mich meine Freundin Sophie um ehrliche Portraits bat. Und auch, wenn ich glaubte zu wissen, worauf sie hinaus wollte, stellte sich mir doch die Frage: „Wie, zur Hölle, soll das funktionieren?“

Warum ehrliche Portraits?

In meiner Vorstellung wünschte sie sich Bilder, die sie so zeigen, wie sie wirklich ist. Nun ist ein Foto natürlich nur eine Momentaufnahme. Es sollte aber trotz allem eine Art Essenz ihres Charakters zeigen, dachte ich mir. Nicht unbedingt alles, was es über sie zu wissen gibt, aber das Wichtigste. Ein Konzentrat ihrer Persönlichkeit, wenn man es so nennen mag.

Was ist Ehrlichkeit und wie kann ich sie darstellen?

Diese Frage bereitete mir tatsächlich einiges an Kopfzerbrechen. Nicht zuletzt deshalb, weil mir mit einem Schlag bewusst wurde, wie wenig Gedanken ich mir bisher zu dem Thema gemacht hatte.

Im Grunde genommen ist es doch so: Unehrlichkeit ist ein Synonym für „nicht wahr, nicht real“. Wir verzerren also die Realität, weil wir etwas so darstellen, wie es gerade nicht ist. Warum?

Als Kind habe ich oft nicht die Wahrheit gesagt, wenn ich etwas angestellt hatte, aus Angst vor den Konsequenzen. Und mal Hand aufs Herz, ist das nicht immer noch so? Wie oft sind wir nicht ehrlich, zu uns selbst oder zu anderen, aus Angst vor den Konsequenzen? Wir werden älter, aber diese Tatsache bleibt.

Im Umkehrschluss ist Ehrlichkeit für mich dann mit ganz schön viel Mut verbunden. Mut, zu dem zu stehen, was wirklich ist. Mut, zu zeigen, was vielleicht nicht gut oder imperfekt ist – ungeachtet dessen, was danach auf uns zukommt.

Übertragen auf ehrliche Portraits könnte das bedeuten, mit kleinen Imperfektionen zu leben. Mit den Augen zu kneifen, weil man zum Beispiel WIRKLICH lacht. Die Falten im Gesicht zu zeigen, weil sie zu einem gehören. Oder die zerzausten Haare einfach sein zu lassen, weil der Wind hier an der Küste ohnehin jede anständige Frisur zerstört. Perfektion ist nicht des Menschen beste Kunst und wir sollten aufhören uns vorzugaukeln, es wäre so.

Sind ehrliche Fotos dann hässliche Fotos?

Nein, jemanden schlecht darzustellen (wenn auch in unserem Fall nur bildlich gemeint) zeugt nicht unbedingt von Ehrlichkeit. Ich denke, dass wir uns viel eher mit unserem eigenen Empfinden von Schönheit und Perfektion auseinander setzen müssen, besonders, wenn es sich um Bilder von uns selbst handelt.

Während ich schon einige meiner Freunde fotografiert habe, ist mir aufgefallen, wie sehr sie die Fotos der jeweils Anderen mochten und bei den eigenen Bildern oft erst unzufrieden waren. Die „Imperfektionen“ der Anderen wurden immer als schön empfunden oder gar nicht erst wahrgenommen. Und würde man mich persönlich nach den schönsten Bildern fragen, wäre ich wohl auch ziemlich aufgeschmissen, weil alle Bilder wunderschön sind.

Letztenendes geht es darum, ob wir mutig genug sind, ehrlich mit uns selbst zu sein. Sind wir mutig genug, uns von dem aufgesetzten schnell-ich-muss-für-die-Kamera-lächeln-Gesicht zu trennen? Sind wir mutig genug, zu unserer krummen Nase, den buschigen Augenbrauen oder unseren Segelohren zu stehen? Sind wir mutig genug, diese Bilder anzusehen und sie vielleicht sogar schön zu finden?

Ich glaube, wenn wir uns von dem Gedanken trennen, dass ein Foto perfekt sein muss, um schön zu sein, dann sind wir ehrlich. Und dann können wir uns auch auf Fotos zeigen, wie wir wirklich sind – als Konzentrat unserer Selbst.

Können wir mal ein bisschen konkreter werden?

Ja können wir. Hier mal zur Verdeutlichung ein kleiner Vergleich:

Sieh dir die Portraits an. Sieh sie dir an und frage dich, was du über die Person zu wissen glaubst. Bei dem Foto auf der linken Seite wirst du vermutlich die gleiche emotionale Verbundenheit spüren, wie zu einer anderen x-beliebigen Person, die du nicht weiter kennst. Rechts sieht das schon anders aus. Was du siehst ist ein echtes Lachen, dass einfach im Moment festgehalten wurde und plötzlich hat man den Eindruck, einen fröhlichen, lebensbejaenden Menschen vor sich zu haben.

Und ich verspreche dir, der Eindruck meine Freundin Sophie in den Zügen ihres Wesens zu erkennen, wird noch verstärkt, wenn du die folgenden Portraits auf dich wirken lässt. Alle Bilder sind im Affekt entstanden und ich habe versucht während unserer Unterhaltung einfach den richtigen Moment zu treffen.

Wie macht man jetzt ehrliche Portraits?

Ausgezeichnete Frage! Ich habe bei unserem kleinen Shooting am Strand auch noch einiges lernen dürfen. Hier meine kleine Liste:

  • Verwickle dein Model in ein Gespräch. Ziel dabei ist, unbedingt wegzukommen von diesen typischen Fotografen-Anweisungen: „Guck mal hierhin“, „schau mal dort hin“, „Kinn hoch“ und noch viele andere, die du in diesem Zusammenhang gar nicht brauchst. Du willst diesen Menschen ja so natürlich, wie möglich einfangen und nichts ist natürlicher, als sie einfach erzählen zu lassen. Das sorgt im übrigen auch bei deinem Gegenüber für Entspannung und plötzlich ist nichts mehr zu spüren von „ich muss besonders gut aussehen auf dem Foto“. Was bleibt ist das Gefühl von „hier bin ich, hier darf ich sein“ und das wird man sehen, auf jedem einzelnen Bild.
  • Scheue dich nicht, die Regeln zu brechen. Als bestes Beispiel kann ich hier eine Regel nennen, die ich selbst immer wieder gebrochen habe: auf geöffnete Augen achten. Ganz oft wird einem gesagt, dass die Augen das Fenster zur Seele sind. Aber wie viel Seele bleibt, wenn die Augen zwar geöffnet sind, das Lächeln darunter aber unecht und gestellt ist? Ja dann sieht man ihre Augen halt nicht, das Lachen dahinter ist aber echt und das zählt viel mehr. Wenn du das Gefühl hast, dass eine Regel für dich nicht funktioniert, dann halte dich nicht daran. Du allein entscheidest, was du schön findest. Und wenn du den Eindruck hast, dass das Lachen nicht von Herzen kommt, dann kannst du dein Model auch darauf hinweisen, dass es nicht lachen muss.
Es ist ein gutes Portrait, aber wirklich ehrlich ist es nicht.
  • Löse dich von dem Blick in die Kamera. Damit meine ich eigentlich den Blick des Models in die Kamera. Das beherzige ich schon sehr lange, weil es sich für mich richtiger anfühlt. Warum ist das so? Wenn wir einen Film, eine Serie oder ein Theaterstück sehen, dann interagieren die Schauspieler nicht mit der Kamera. Der Zuschauer bleibt stiller Beobachter. Tut er es doch, so wird im Schauspiel davon gesprochen „die 4. Wand zu durchbrechen“. Plötzlich erwartet der Betrachter eine Art Interaktion. Wenn diese Interaktion nicht stattfindet, weil nur halbherziges Kamera-Lächeln zu sehen ist, spüre ich zumindest eine Art Enttäuschung.
  • Schraube deine eigenen Erwartungen herunter. Damit meine ich nicht, deinen Qualitätsanspruch herunter zu fahren. Aber vielleicht ist es besser, sich vorher keine Gedanken zu machen, welche Pose wie wirkt und welche Art von Foto man unbedingt machen möchte. Je genauer deine Vorstellungen sind, desto schwieriger wird es, ihnen gerecht zu werden. Und dann wird es fast unmöglich, deinem Gegenüber die Akzeptanz und den Freiraum zu geben, so zu sein, wie er oder sie tatsächlich ist.

Zu guter Letzt kann ich nur sagen, dass mich der Serienbildmodus absolut gerettet hat. Aber das tut er eigentlich immer, solange ich kein Stillleben fotografiere.

Ich hoffe, du konntest meine, teils philisophischen, Denkansätze nachvollziehen und verstehen, worauf ich hinaus wollte. Vielleicht konntest du ja etwas für dich mitnehmen – schreib mir gerne in den Kommentaren.

Bevor ich mich verabschiede, bleibt nur noch eins zu sagen: Vielen Dank Sophie, dass du mir so viel Vertrauen geschenkt hast!

Bis dahin, alles Liebe!

Deine Stephie

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